
eigentlich habe ich parfum nie wirklich gemocht. überhaupt kenne ich nur ganz wenige gerüche, die ich
angenehm finde. ein paar davon ziehen mich allerdings regelrecht in ihren bann. jeder atemzug wird dann
zu einem festmahl. jeder bissen macht mich hungriger. aber was wollte ich dir eigentlich erzählen? vor mir
liegt das meer, wie du weißt, und heute träumt s. die eisberge sind von der flut davongetragen worden. s ist
ein vollmondtag und regnerisch. den streifen am horizont, der das meer von meinem himmel trennt, kann
ich heute kaum ausmachen. so höre ich dem wind zu und dem regen und jeder baum hat seinen eigenen
ton. ‘mein rotes herz schlägt im rhythmus blauer wellen', schrieb ich dir bevor ich zurückgegangen bin an
mein meer, das ich mehr liebe, als alles andere und somit auch mehr als dich. ich weiß, daß das für einen
nichtschwimmer kaum zu begreifen ist. dir zu erzählen, daß ich schon mehrmals ertrunken bin, erleichtert dir
das verstehen nicht gerade. auch nicht, zu sagen: “auf das meer kann ich mich verlassen.” was du nicht
weißt ist, daß ich weiß, daß ich unter wasser atmen kann.
gestern träumte ich zum beispiel vom duft der muscheln und algen. ich träumte vom geruch des meeres,
der so unwiderstehlich ist, daß ich mich mit jedem meter, den ich landeinwärts trippeln mußte, mehr danach
verzehrte. ich hatte mir flossen gewünscht, doch du hattest mir spitzenschuhe geschenkt, die mir die zehen
so arg preßten, daß ich vor schmerz tänzelte. meine pirouetten erinnerten an den witz vom ‘guck-mal-der-
arme-mann-aber-einen-guten-schneider-hat-er’.
auch träumte ich davon, mit seesternen zu spielen, denen ich mehrmals beteuern mußte, nicht über sie zu
lachen, wenn sie über meinen körper gleiten und mich mit ihren kleinen tentakelfüßen kitzeln. in zarten
blauen tropfen kam währenddessen vom nochvielweiterweg eine woge musik geflutet. das lied wollte ich dir
schenken, doch nun liegt s rot auf meinen lippen und rinnt mein kinn herab und ich habe kein taschentuch s
wegzuwischen. ich habe niemals taschentücher, wie du weißt, weil ich keine ordentliche frau bin. auch
gestikuliere ich wild, was - wie meine pirouetten beweisen - leicht verwechselt werden kann.
mein ertrinken geht übrigens wie folgt: eine welle erfaßt mich, ich tauche unter und verliere die orientierung.
zunächst packt mich entsetzten. ich rudere heftig mit armen und beinen und suche den weg zurück nach
oben. ich schlucke und huste. meine lungen füllen sich mit wasser, doch statt daran zu ersticken, weiten sie
sich. ich beginne zu atmen. zunächst noch mühevoll, schöpfe ich mit jedem schluck mehr luft und meine
panik weicht einem staunen. dann schließlich explodiert die freude darüber, in diesem herrlichsten aller
elemente sein zu können. ich schaue mich um, schaue durch einen wasserschleier auf die welt über mir und
sehe in einen blauen himmel mit einer großen goldenen sonne und mit jedem atemzug kommt eine welle
meer und schwemmt eine weitung meer in mich hinein und mit ihr die ferne einer neuen heimat, die schon
immer meine heimat war. und siehst du: genau so habe ich mir das lieben auf land immer vorgestellt: eben
nicht als kriechgang.


metamorphose